Fahrerflucht
§ 142 des Strafgesetzbuches (StGB) beschreibt, wann sich ein Verkehrsteilnehmer wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort strafbar macht. Das ist dann der Fall, wenn sich ein Unfallbeteiligter nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeuges und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit oder durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat. Das gilt auch, wenn er nicht eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne dass jemand bereit war, die Feststellungen zu treffen. § 142 Abs. 1 StGB droht für diesen Fall Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe an.
1. Feststellung des Fahrers
Voraussetzung dafür, dass ein Verkehrsteilnehmer wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort bestraft wird, ist zunächst, dass der Fahrer des Pkw ermittelt wird. Das ist dann nicht möglich, wenn Zeugen, den oder die Fahrerin auf einer Lichtbildmappe, die in der Regel Monate nach dem Unfall vorgelegt wird, nicht wiedererkennen. Nach längerer Zeit ist es kaum möglich, jemanden wiederzuerkennen, den man Monate zuvor nur sehr kurz und flüchtig gesehen hat. Zu einer solchen Lichtbildvorlage kommt es dann, wenn der vermeintlich Fliehende am Unfallort nicht unmittelbar gestellt wurde und der dann angesprochene oder angeschriebene Halter des Fahrzeuges dazu schweigt, wer am Tag des Unfalles mit dem Fahrzeug gefahren ist.
Gemäß § 55 der Strafprozessordnung (StPO) hat der Halter eines Pkw, der als Zeuge dazu gehört werden soll, das Recht, die Auskunft zu verweigern, wenn die Gefahr besteht, dass er selbst oder in § 52 StPO näher bezeichnete Angehörige, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt wird. Dabei genügt, dass der Halter sich oder einen Angehörigen durch die Aussage der Gefahr eines Anfangsverdachtes aussetzt, der zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens führen könnte. Die sichere Erwartung der Verfolgung ist nicht erforderlich. Allerdings kann spätestens in einem Gerichtsverfahren verlangt werden, dass die Verweigerung des Zeugnisses glaubhaft gemacht wird. Allerdings dürfen Angaben über die Tat, derentwegen Verfolgungsgefahr besteht, naturgemäß nicht verlangt werden, da dies ohne Belastung des Zeugen oder seiner Angehörigen nicht möglich wäre. Die Glaubhaftmachung erstreckt sich daher nur auf die Annahme des Zeugen, dass diese Gefahr vorliegt.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Halter eines Pkw als Fahrer in Betracht kommt, sodass in der Praxis in der Regel keine weitere Glaubhaftmachung verlangt wird. Weiterhin ist es nicht fernliegend, dass der Pkw des jeweiligen Halters auch von anderen Personen, insbesondere von nahen Verwandten im Sinne des § 52 StPO, d. h. beispielsweise der Verlobten, dem Ehegatten, dem eigetragenen Lebenspartner sowie von Personen, die mit dem Halter in gerader Linie verwandt oder verschwägert sind, gefahren wird. Das Aussageverweigerungsrecht gilt sogar für Verwandte, die bis zum zweiten Grad verschwägert oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt sind (vgl. § 52 Abs. 1 Ziff. 3 StPO).
Da man – wenn einem beispielsweise nicht geglaubt wird, dass man einen Unfall nicht bemerkt hat – auch zu Unrecht verurteilt werden kann, kann es im Einzelfall durchaus sinnvoll sein, auch als Unschuldiger keinerlei Aussagen zu dem Vorwurf machen. Auf keinen Fall sollte man sich ohne Beratung durch einen erfahrenen Verteidiger zu solchen Vorwürfen äußern. Das gilt auch dann, wenn die Polizei – was gar nicht so selten vorkommt – plötzlich vor der Tür steht und fragt, wer in der letzten Stunde mit dem vor der Tür geparkten Pkw unterwegs gewesen sei. Diese Frage muss unter den oben dargestellten Voraussetzungen nicht beantwortet werden, was in der Regel auch zunächst sinnvoll erscheint. Als möglicher Beschuldigter ist man nicht verpflichtet, in irgendeiner Weise an den Ermittlungen mitzuwirken. So ist man weder verpflichtet, zu erklären, wo sich das Auto befindet, noch gar dies persönlich zur Untersuchung zur Polizei zu bringen. In vielen Fällen werden Verfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort eingestellt, weil entweder nicht festgestellt werden kann, dass die angeblichen beteiligten Fahrzeuge kompatible Schäden aufweisen oder weil völlig offen ist, wer die Fahrerin oder der Fahrer eines der beteiligten Pkw gewesen sein soll.
2. Bemerkbarkeit des Unfalles
Strafbar macht sich nur derjenige, der dieses Delikt vorsätzlich begeht. Eine fahrlässige Begehung ist nicht möglich. Dies bedeutet, dass derjenige, der nicht bemerkt, dass es zu einem Unfall gekommen ist, sich objektiv nicht strafbar machen kann. Dem vermeintlichen Täter eines solchen Deliktes muss daher nachgewiesen werden, dass er einen Unfall bemerkt hat. Bei einer heftigen Kollision ist dies in der Regel unproblematisch. Anders kann es jedoch sein, wenn es lediglich zu einer leichten Berührung gekommen ist. Zu einer solchen kann es sowohl im fließenden Verkehr, als auch auf einem Parkplatz kommen. Wenn die Strafverfolgungsbehörden, d.h. die Staatsanwaltschaft, die Amtsanwaltschaft oder die Polizei meinen, den Fahrer zu kennen, unterstellen sie in der Praxis oft ohne nähere Prüfung, dass dieser, die dem Entfernen vom Unfallort vorangegangene Kollision auch bemerkt habe.
Bemerken kann man eine solche Kollision sowohl aufgrund eines Geräusches, als auch durch eine mit der Kollision verbundene Erschütterung des Fahrzeuges. Dabei wird oft übersehen, dass ein Kollisionsgeräusch außerhalb des Fahrzeuges (beispielsweise von Zeugen, die sich in der Nähe aufhalten) durchaus wahrgenommen werden kann, während dies im Fahrzeuginneren nicht der Fall sein muss. Ob man das Geräusch im Fahrzeug selbst wahrnimmt, hängt von vielen Faktoren ab. So kann es darauf ankommen, in welchem Winkel die Fahrzeuge sich berührt haben, wie das Fahrzeug im Inneren gedämmt ist, ob die Fahrzeuginsassen sich unterhalten oder ob laute Musik gehört wird. In vielen Fällen kann im Fahrzeug selbst eine Kollision tatsächlich nicht bemerkt werden, obwohl es nach außen den Anschein hat.
Ebenso ist es möglich, dass sich die durch einen Anstoß hervorgerufene Erschütterung im Fahrzeuginneren nicht bemerkt wird. Dies beruht in erster Linie darauf, dass der durch die Kollision ausgelöste Impuls auf dem Weg zum Fahrer natürlich schwächer wird. Dabei kann es ganz entscheidend auf die Innenausstattung des Fahrzeuges ankommen. Wenn gleichwohl noch eine leichte Erschütterung bemerkt werden könnte, kann diese auch auf anderen Ursachen, beispielsweise auf dem Befahren einer Fahrbahnunebenheit beruhen, sodass der Fahrer auch in diesem Fall nicht davon ausgeht, dass sich ein Unfall ereignet hat. In geeigneten Fällen wird ein erfahrener Strafverteidiger zu solchen Fragen vor der Hauptverhandlung ein Privatgutachten durch einen versierten Sachverständigen einholen. Existiert eine Rechtsschutzversicherung, wird diese möglicherweise die Kosten dafür übernehmen.
3. Nachträgliche Ermöglichung der Feststellungen
Gemäß § 142 StGB kann der Beteiligte nach einem Unfall – nachdem er eine angemessene Zeit am Unfallort gewartet oder sich sonst berechtigt oder entschuldigt vom Unfallort entfernt hat – die Feststellungen auch nachträglich ermöglichen. Dies muss jedoch unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Verzögern erfolgen. Gemäß § 142 Abs. 3 StGB genügt der Unfallbeteiligte diesen Anforderungen, wenn er den Berechtigten oder einer nahegelegenen Polizeidienststelle mitteilt, dass er an dem Unfall beteiligt gewesen ist, wenn er seine Anschrift, seinen Aufenthalt sowie das Kennzeichen und den Standort seines Fahrzeuges angibt und dieses zu unverzüglichen Feststellungen für eine ihm zumutbare Zeit zur Verfügung hält. In der Regel bedeutet dies, dass der Betroffene sofort vom Unfallort zur nächstgelegenen Polizeidienststelle fahren muss, da andere Unfallbeteiligte in der Praxis kaum schnell zu ermitteln sind. Das Zurücklassen eines Zettels mit den persönlichen Daten genügt auf keinen Fall. Sofortiges Handeln im Sinne einer starren Zeitspanne ist zwar nicht verlangt, es soll jedoch nicht mehr unverzüglich sein, wenn ein vorwerfbares Passivbleiben des Unfallbeteiligten die Beweissituation konkret erheblich gefährdet. Zu der Frage, wie schnell die Feststellungen ermöglicht werden müssen, existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Gerichtsentscheidungen. Dabei kommt es im Einzelfall auch auf die Schwere des Schadens an.
4. Milderung der Strafe
Gemäß § 142 Abs. 4 StGB kann das Gericht die Strafe mildern, wenn der Unfallbeteiligte innerhalb von 24 Stunden nach einem Unfall außerhalb des fließenden Verkehrs, der ausschließlich nichtbedeutenden Sachschaden zur Folge hat, freiwillig die Feststellung nachträglich ermöglicht. Dies ist jedoch keine zwingende Folge, so dass man sich nicht darauf verlassen kann, dass tatsächlich eine Milderung eintreten wird, wenn man sich selbst belastet. Möglicherweise ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr feststellbar, wer an dem Unfall beteiligt war.
5. Unfallbeteiligter
Unfallbeteiligter (§ 142 Abs. 5 StGB) ist jeder, dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen haben kann. Danach kann auch ein Verkehrsteilnehmer Unfallbeteiligter sein, der selbst nicht in eine Kollision verwickelt ist. Derjenige, der beispielsweise scharf bremst ist auch dann Unfallbeteiligter, wenn es nicht zu einer Kollision zwischen den Fahrzeugen kommt. wenn der hinter ihm fahrende Zweiradfahrer stürzt, da er ebenfalls scharf bremst. Dabei kommt es nicht daraud an, wer den Unfall verschuldet hat. Die vorstehenden Ausführungen zeigen nur einen Bruchteil der Probleme, die bei der Anwendung des § 142 StGB auftreten können und lassen erkennen, wie kompliziert die Anwendung im Einzelfall sein kann. Unter Umständen lässt sich ein Tatvorwurf bereits durch bloße Anwendung des Gesetzes widerlegen. All dies zeigt, dass man sich keinesfalls ohne anwaltliche Beratung zu einem solchen Vorwurf äußern sollte.
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